Texte&Zitate

Persönliches

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Aus der Rede anlässlich der Verabschiedung aus dem Dienst als Kirchenmusiker an der Basilika St. Vitus (2007)

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Niemand der hier Anwesenden wird erwarten, dass ich heute, am Ende meiner Dienstzeit, eine eigene Lobhymne oder Grabrede halte.
Ich möchte vielmehr bei einigen Blättern und Seiten eines riesengroßen, umfangreichen Albums verweilen, wohl wissend, dass es nicht möglich ist, viele Seiten, deren Inhalt Erwähnung finden müssten, in Erinnerung zu bringen, zur Sprache zu bringen.
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Am heutigen Tag möchte ich dem danken, der mich einen so großen Beruf hat ausführen lassen, und dem unsere Arbeit galt und gilt. Gleichzeitig bitte ich auch den lieben Gott, dass er mir verzeiht, weil ich stolz gewesen war, in einer so großartigen Kirche, wie sie die Basilika darstellt, als sein Spielmann wirken zu dürfen und diese Verliebtheit nie aufgeben wollte. Ein Chormitglied sagte unlängst, nach seiner Zählung wären in 40 Jahren nur 3 Proben wegen Krankheit ausgefallen. Ich danke meiner Frau und meiner Familie für das Verständnis und das Begleiten. Musiker sind keine besseren Menschen, aber anders. Auch danke ich für das Plakatieren so vieler Plakate und Mithilfe bei vielen Anlässen.
Ich danke einem lieben, stillen, zarten, dunkelhaarigen Wesen, das beinahe unbemerkt mir viele Jahre die Treue gehalten hat. Wenn es nicht schon tot wäre, dann hätte es mich überdauert, und das will was heißen. Es handelt sich um eine Fledermaus, die an der Orgel hängt, und der ich viele Töne bei Tag und Nacht vorspielte.
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Aus der Rede anlässlich seines 60. Geburtstags (2002)

„[...] vielleicht bin ich ganz anders, als der ich heute so lebhaft gepriesen wurde. Vielleicht habe ich einfach nicht die Zeit, so zu sein, wie ich eigentlich sein könnte.
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Die Rolle der Kirchenmusik

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Aus der Rede anlässlich seines 60. Geburtstags (2002)

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Im Briefwechsel zwischen Umberto Ecco und Kardinal Martini schreibt letzterer: „Die Kirche befriedigt nicht Erwartungen, sie feiert Geheimnisse“. Mein Wunsch ist, dass allen, die für die Gestaltung von Gottesdiensten und Kirchenmusik Verantwortung tragen, bewusst ist, was dieser Satz bedeutet, und dass uns oft die Möglichkeit gegeben ist, diese Feststellung transportieren zu können.
Mein Wunsch wäre, dass wir Möglichkeiten finden, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns erlauben, durch Musik und Kunst Spuren des uns unfassbaren Mysteriums Gottes auszulegen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. (Jürgen Jenssen)
Ich selbst glaube und hoffe an eine Kirchenmusik der Zukunft, so wie sie von Olivier Messiaen beschrieben wird, die sich als Dialog zwischen Raum und Zeit , zwischen Klang und Farbe, als Dialog sieht, der in Identifikation mündet: Die Zeit ist ein Raum, der Klang eine Farbe, der Raum ein Komplex einander überlagernder Zeiten. (O. M., 1978)
Auch wenn jemand, wie Dieter Schnebel, festhält, dass wirklich neue, qualitätvolle KM bei den derzeitigen Voraussetzungen nicht möglich ist, so stelle ich mir dennoch eine Klangsprache vor, die zunächst eine von der Katabasis (Zuneigung) her geprägte Klanglichkeit ist und dann durch eine eher sperrige, widerständige Sprache die Anabasis (Hinwendung) antworten lässt.
„Du bist nicht der Gott, den wir uns denken.“
„Wer bist du Gott, wie ist dein Name?“
Diese urmenschlichen Fragen, Fragen nach der Widerfahrnis Gottes für die Menschen, begrenzen, schneiden Wortschwall und Klangwust ab und verpflichten zum Schweigen. Sprache, Klang, Musik, auch wenn sie am Rande des Verstummens stünden, könnten Inhalte neu erfahrbar werden lassen. (Benedikt Kranemann)
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Aus der Rede anlässlich der Verabschiedung aus dem Dienst als Kirchenmusiker an der Basilika St. Vitus (2007)

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Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts, nach Erlebnisgesellschaft und Firlefanz, sich doch intensiver nach einer Mitte sehnt. Und wenn Martin Walser davon spricht, dass zur Kultur der Moderne so etwas gehöre wie das Phänomen oder die schmerzliche Erfahrung einer „Unanbringbarkeit von Verehrung“, so stellt sich die Frage, ob und wie auf dem Gebiet der Liturgie neue Intensitäten möglich sind. Keine Frage, alle, die an Gottesdienst-Gestaltung beteiligt sind, wissen ob der Spannungen, denen sie sich täglich zu stellen haben: Spannungen zwischen

  • Ausgesprochenem und Unaussprechlichen 
  • zw. Anspruch und Wirklichkeit
  • zw. Gregorianik und Danke-Song
  • Kirchenvolksbegehren und Blutritt
  • Mobiltelefon und Prachtsmissale
  • Routine und Experiment
  • „Eine Welt“ und Kirchenmusiketat
  • Versuchung und Verheißung
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Aus dem Referat „Das Ohr ist die Pforte der Seele“
(Konrad von Megenberg, 1347) (2006)

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Das Ohr nimmt gegenüber dem Auge das 10-fache an Eindrücken auf.
Möglicherweise waren unsere Gottesdienste in den letzten Jahrzehnten – hervorgerufen durch Automatismen und einem falsch verstandenen Aktionismus – durch Sprache und Klang überfrachtet, ließen wenig Raum für Stille. Stille müsste aber einem Klang vorausgehen, oder diesem folgen. Eigentlich kann Musik erst auf Stille reagieren. Gerade Stille und Klang sind ein Plädoyer für das „Unaussprechliche“.
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Für alle, die sich mit den großen Themen des Lebens und Glaubens auseinandersetzen, kann im kirchlichen Raum der Hörvollzug von Musik eine Verknüpfung von Gegenwärtigem mit Vergangenem bedeuten. Augenblick und Erinnerung steigern sich zu neuer Qualität und wecken Erwartungen auf Zukünftiges. So lassen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft simultan erfahren.
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Aus dem Referat „Gottesdienst – Heilige Messe – erlebnisstark“ (2013)

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Das, was in der alten Welt noch keinen Ort hat, bekommt in der eucharistisch gebildeten Gemeinschaft einen neuen Ort. Der Himmel kommt zu uns – will zwischen uns sein – in Spuren wenigstens.
Sich von Gott wandeln zu lassen, ist ein Urereignis.
Sobald Gottesdienst diese wandelnd-revolutionäre Kraft hat, wenn wir uns buchstäblich in „Gottesgefahr“ begeben und uns der Wandlung nicht entziehen, wird unschwer einsichtig, warum eben die Eucharistiefeier Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens ist. Die religiös-spirituellen Erwartungen müssen dahingehend erfüllt werden, indem für die Mitfeiernden ein Zeitraum eröffnet wird, in dem jeder in die innere Zwiesprache mit Gott eintreten kann und Gottes Gegenwart in seinem Leben so erfährt, dass die Liturgie tatsächlich zur Feier der Relevanz von Tod und Auferstehung Jesu für das eigene Leben wird.
Aufgabe der Kirche wird es immer sein, eine gute Adresse für Menschen zu sein, die in der Tiefe ihres Herzens das Gottesahnen erspüren. So müssten die Gottesdienste qualitätsvoll, also „gottvoll“ und „erlebnisstark“ gefeiert werden.
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Wie eine Gesellschaft mit Kunst umgeht, das ist ein wichtiger Seismograf ihrer Befindlichkeit.
Und wer sich gar dem theologischen Bekenntnis zur Musik, zur Kirchenmusik, nicht verschließt, für den leitet sich ein politischer Handlungsauftrag ab, und so fühlt er sich getragen von dieser kultur- und bildungspolitischen Vision. […]
Kultur gibt es nicht.
Man tut sie.

Aus der Rede anlässlich der Verleihung der Bürgermedaille (2017)

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aus dem Referat „Kirchenmusik – Mühsal oder Segen“,
Ökumenisches Symposium (2004)

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Was soll Musik im Gottesdienst leisten? Was ist die Aufgabe der Musik im christlichen Gottesdienst?
Hat die Liturgiereform musikalische Dürftigkeit zwar nicht angeordnet, doch wahrscheinlich unbeabsichtigt mitverursacht?
Haben die Einführung der Volkssprache in die Liturgie und die Hochschätzung der aktiven Teilnahme der Gläubigen dem katholischen Gottesdienst einen tiefgreifenden Kulturschock versetzt?
Allgemein ist zu beobachten, dass der nachkonziliare Aktionismus im Abklingen ist. Sehnsucht nach der alten Liturgie kommt auf. Das Geschenk der Sprache wird als Bedrohung angesehen, wenn jede qualitative und quantitative Hemmung fehlt, wenn sich Banalitäten des Alltags unter mittelalterliche liturgische Formeln mischen. Es wird beklagt, dass Sprachwucherungen Wort und Zeichen ersticken. Man versucht, Unterhaltendes anzubieten, wo religiöse Erfahrung gemacht werden soll.
Eine Balance sei verloren gegangen, zwischen Wort und Zeichen, zwischen Sprache und Symbol, zwischen Mitteilung und Sinnlichkeit.
Die gegenwärtige Situation ist ein Stillstand.

Eine neue Art Gottesdienst zu feiern heißt, eine Feierkultur zu suchen, die eine Balance wiederherstellt:

  • zwischen Sprache und Zeichen, zwischen verbaler Mitteilung und sinnlicher Erfahrung, zwischen Text und Musik
  • zwischen Aktivität und Kontemplation, zwischen Reden und Schweigen, zwischen Ereignis und Stille
  • zwischen Tradition und Innovation, zwischen Rubriken und Phantasie
  • zwischen Aktivität nach außen und nach innen, zwischen Singen und Musikhören, zwischen Geben und Nehmen
  • zwischen Lehre und Autonomie, zwischen Dogma und authentischem Glauben.

Die Musik erhält ihren Wert, ihr Gewicht und ihre Aussagekraft durch die Ausführenden, durch die Hörer, aus dem Zusammenhang von Zeit und Ort und der Stellung im gesamten liturgischen Geschehen. Der Stellenwert und die Aussagekraft der Musik wird auch vom Gottesdienstleiter mitbestimmt. Sein Verhalten und Reagieren kann die Musik auf- oder abwerten.
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Aus dem Referat „Semper reformanda – Mühsal oder Segen? Beobachtungen aus dem gemeindlichen Alltag“ (2010)

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Musik im Kirchenraum – Geheimnis entfalten
Ich warte immer, bis eine oder einer der Orgelkolleg*innen von der Empore oder vom Kirchturm herunterruft: Wir entschuldigen uns für die vielen unbedachten, unreflektierten und genmanipulierten Klänge, die wir um eure Ohren fliegen lassen. Und – wir geloben Besserung.
Bewusste Kirchen- und Orgelmusik beginnt bei der Begleitung und Führung der Gemeinde. Ist sie beatmet, wird sie der jeweiligen Situation gerecht? Orientiert sie sich am Text, am Geist der Vorlage? Tournemire sagte: „Orgelmusik, der nicht Gottes Geist innewohnt, ist wie ein Körper ohne Seele.“
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Ich meine, wir machen zu viele selbstverliebte Musik, mit der die Gottesdienstteilnehmer überrumpelt werden. Für instrumentale Musik sind kaum Zeiträume möglich. Die Musik des „Neuen Geistlichen Lieds“ wandelt auf den Pfaden alter, traditioneller Musik, bzw. gießt deren Elemente wie eine Beize über sich. Ist unsere Musik aufdringlich, zu laut, angesichts der Fragen, die uns beschäftigen und bedrängen? Angesichts der Widerfahrnis Gottes, der wir uns nicht entziehen können? Kann nicht gerade eine reduzierte Musik hellhörig und sensibel machen? Sind unsere Klänge zu Schablonen geworden, ausgelutscht, verstaubt?
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Der Mailänder Kardinal Martini antwortet Umberto Eco: „Die Kirche befriedigt nicht Erwartungen, sondern sie feiert Geheimnisse“ (1). 1970 erschien ein Buch des inzwischen verstorbenen ev. Bischofs Wilhelm Stählin mit dem Titel: „Mysterium. Vom Geheimnis Gottes.“ Und er sagt: „In einem fortschreitenden Verlust des Mysteriums wurzle auch der fortschreitende Verfall des Gottesdienstes“. Dieser Verfall sei der Ausdruck einer sich steigernden Unklarheit über das, was im Gottesdienst eigentlich geschieht oder geschehen sollte ... Eine Kirche, die selbst keinen Wert mehr darauf legt, Hüterin der Mysterien Gottes zu sein, werde mit Recht von niemandem ernst genommen (2).
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[...] in jede Probe eine neue Idee einbringen
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Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Kirchenmusikpraxis:
Ein Gespräch mit Willibald Bezler in „neue musik zeitung“ (07/1999)

(1) Martini-Eco, Wien 1998
(2) Heribert Mühlen, Mainz 1982